Blogbeitrag




Peter Drucker MBOs vs OKRs

Wie OKR-Fans von MBOs profitieren können

Timm Richter, 6. Februar 2020

John Doerr, der OKRs populär gemacht hat, und auch andere Protagonisten kontrastieren OKRs mit der MBO-Methode von Peter Drucker durch die Einschätzung, dass MBOs problematisch und OKRs die bessere Methode seien. Leider entspricht ihre Darstellung von MBOs gar nicht dem, was Peter Drucker wirklich geschrieben hat! Eine Lektüre seines Textes „Management By Objectives And Self Control“ aus dem Jahr 1954 lohnt sich sehr, denn er gibt Hinweise auf gute Unternehmensführung, die auch bei der Implementierung von OKRs helfen.

In seinem Buch „Measures what matters: OKRs : The Simple Idea that Drives 10x Growth“ präsentiert John Doerr eine Tabelle, die MBOs und OKRs vergleicht. Hier ist die von mir übersetzte deutsche Version:

Peter Drucker MBOs vs OKRs

Einige Missverständnisse lassen sich sehr schnell aus den Weg räumen: Peter Drucker hat keinen jährlichen Rhythmus vorgeschlagen, er berichtet in seinem Text lediglich von einem aus seiner Sicht vorbildlichem Unternehmen, das zwei Mal im Jahr einen MBO-Prozess durchläuft. Auch finden sich keine Hinweise bei Peter Drucker, dass MBOs an die Vergütung zu koppeln sind oder dass ihr Ziel sei, Risiko zu vermeiden. Für Peter Drucker sind MBOs ein Mittel der Selbstkontrolle, damit Manager (und ihre Teams) ihren Beitrag zum Gesamtunternehmen verstehen und dann selbständig handeln können. Das allgemeine Narrativ zu MBOs, dass auch John Doerr verwendet, bezieht sich auf die Art und Weise, wie MBOs in vielen (den meisten?) Unternehmen tatsächlich gelebt werden. Und das ist eben nicht so, wie Peter Drucker es angedacht hatte. Ich sehe durchaus eine Gefahr bei OKRs, dass sie ein ähnliches Schicksal wie MBOs erleiden, nämlich anders als gedacht implementiert zu werden.

Darüber hinaus gibt es im MBO Ansatz von Peter Drucker Überlegungen, die hoch relevant für OKRs sind. Drei davon möchte ich hervorheben.

Die Trennung von Objectives und Key Results bei OKRs suggeriert eine Klarheit, die es gar nicht gibt

In der Theorie von OKRs sind Objectives das qualitative WHAT, das man erreichen möchte, und die Key Results das quantifizierbare WIE. Viele Teams tun sich damit schwer, diese beiden Dinge auseinanderzuhalten und präzise zu fassen. Damit nicht genug, gibt es eine logische Inkonsistenz, wenn man den Bezug der beiden Begriffe zu eng fasst. Denn wenn das Objective als erreicht gilt, sobald man alle seine Key Results geschafft hat, dann wäre das Objective ja quantifizierbar - nämlich durch die Key Results. Dass es Situationen gibt, wo man das Objective erreicht, aber nicht die Key Results, oder auch umgekehrt, zeigt nur, dass es zwei unterschiedliche Arten gibt, Ziele zu beschreiben: qualitativ und quantitativ. Beide Arten sind wichtig und ergänzen sich, beide Arten sind notwendig, um ein Zielbild zu formulieren.

Das hat Peter Drucker genauso gesehen. Er betont, dass es immer eine Vielzahl von Zielen gibt, die miteinander in eine (für die aktuelle Situation) stimmige Balance gebracht werden müssen. Er spricht explizit von Anstrengungen (d.h. Input) und Output, kurz- und langfristigen Zielen sowie tangiblen und intangiblen Zielen. Der wesentliche Wert des Prozesses ist die Auseinandersetzung und Klärung der Gewichtung von miteinander konkurrierenden Zielen.

Es geht nicht um Top-Down versus Bottom-up, sondern um Kollaboration zu einem gemeinsamen, übergeordnetem Ziel

Die Einführung von OKRs wird oft dergestalt gerahmt, dass man die Bottom-up Beteiligung von Mitarbeitern im Zielsetzungsprozess erhöhen möchte. Das mentale Modell ist die Hierarchie, die als problematisch angesehen wird und nun irgendwie aufgelöst werden soll. Das wirkt auf mich oft sehr verkrampft und ich habe den Eindruck, dass Bottom-up oft genug nur simuliert wird. John Doerr spricht davon, dass ungefähr 50% der Ziele Bottom-up kommen sollen. Seine begeisterte Erzählung zu den Objectives bei Intel macht auf mich allerdings den Eindruck, als ob dort OKRs erfolgreich genutzt wurden, um eine Unternehmen generalstabsmäßig durchzuorganisieren und die Bottom-up Beteiligung so etwas wie ein Zugeständnis ist. Und wer entscheidet eigentlich, welche 50% der Ziele von den Mitarbeitern kommen?

Peter Drucker erscheint mir hier in seiner Philosophie deutlich klarer. Oberstes Ziel für ihn ist der Unternehmenserfolg. MBOs dienen dazu, den eigenen Beitrag zu diesem Unternehmensziel zu definieren, damit für Manager und Mitarbeiter der Handlungsrahmen klar ist. Damit möchte Peter Drucker der Gefahr entgegenwirken, dass nur dass getan wird, was der Boss will. Die Ausrichtung erfolg also immer auf das unternehmerische große Ganze.

Gleichzeitig sagt Peter Drucker, dass diese Zielfestlegung durch den Manager erfolgen muss. Der Manager muss die Ziele seines Vorgesetzten verstehen und daraus ableiten, welchen Beitrag er und sein Team dazu leisten können. Der Vorgesetzte des Managers hat ein Vetorecht, der Manager erarbeitet seine eigenen Ziele. Ziel des MBO Prozesses ist ein gemeinsames Verständnis, ein „meeting of minds“.

Volle Transparenz von Kennzahlen beinhaltet auch Risiken

OKRs legen viel Wert darauf, dass die Objectives und Key Results für alle Mitarbeitenden transparent sind und auch öffentlich in ihrem Erfüllungsgrad nachgehalten werden. Einher damit geht der Gedanke, dass diese Offenheit Kreativität und gegenseitige Befruchtung fördert und Macht durch Information vermindert.

Peter Drucker hat einen anderen Blick. Für ihn ist es extrem wichtig, dass dem Manager die Möglichkeit gegeben wird, seinen Beitrag selbst zu beurteilen. Dafür muss man ihm Kennzahlen an die Hand geben, mit Hilfe derer er seine Aufmerksamkeit steuern kann. Peter Drucker fordert ausdrücklich, dass diese Kennzahlen NICHT dem Vorgesetzten zur Verfügung gestellt werden. Damit soll verhindert werden, dass der Manager durch Zahlen kontrolliert und in seiner Selbständigkeit eingeschränkt wird. Dies funktioniert nur, da Peter Drucker dem Manager das Vertrauen entgegenbringt, dass er seine Aufgabe verantwortungsvoll erfüllt.

Bei der Nutzung von OKRs ist sicherlich sehr interessant zu sehen, wie die Transparenz tatsächlich gelebt wird. Nutzen die Mitarbeiter die Fülle der Informationen für Abstimmung über viele Abteilungen hinweg oder liest jeder am Ende doch nur wenige OKRs aus seinem näheren Umfeld? Und führt die Transparenz zu mehr Vertrauen oder zu Leistungsdruck und dem Spielen des Systems (ich lege Ziele doch wieder so fest, dass ich sie gut erreichen kann)?

Meine Vermutung wäre, dass die konkrete Wirkung von OKRs sehr stark von der vorhandenen Unternehmenskultur abhängig ist. So werden mutige Organisationen durch Stretched Targets mutiger und vorsichtige Organisationen werden Wege finden, so dass sie um Stretched Targets herumarbeiten.

In dem Artikel von Peter Drucker gibt es noch eine Vielzahl weiterer Impulse, die ich in diesem kurzen Artikel nicht ansprechen konnte. Die vollständige Lektüre des Originals lohnt sich für jeden, der mit OKRs arbeiten möchte.